Ambulant erworbene Pneumonie
zurück zur Übersichtsseite
Einleitung
Die ambulant erworbene Pneumonie (CAP) ist die am häufigsten zum Tode führende Infektionskrankheit. Daten die vor der Corona Pandemie ausgewertet wurden, ergaben beispielsweise eine Hospitalisierungsrate von 46,5% [1]. Dabei liegt die Krankenhausletalitiät bei ca. 10- 13% [2][3] und liegt somit auf dem Niveau des ST-Hebungsinfarktes. Als ambulant erworbene Pneumonie werden Pneumonien bezeichnet, die entweder außerhalb des Krankenhauses oder innerhalb von 48 Stunden nach Krankenhausaufnahme erworben worden sind.
Klassifikation
Pneumonie Triade
Die Klassifikation der Pneumonie erfolgt nach Ort der Entstehung und dem Grad der Immunsuppression. Hiervon abzugrenzen ist die Pneumonie unter schwergradiger Immunsupression, bei der ein anderes Erregerspektrum bzw. ein erhöhtes Risiko für opportunistische Erreger besteht. Diese Klassifikation wird unter "Pneumonie Triade" zusammengefasst.
Pneumonie Triade | ||
---|---|---|
Bezeichnung | Ort er Entstehung | Immunstatus |
ambulant erworbene Pneumonie community-acquired pneumonia, CAP |
außerhalb eines Krankenhauses | immunkompetent |
nosokomial erworbene Pneumonie hospital-acquired pneumonia, HAP |
> 48 Stunden nach Krankenhausaufnahme | immunkompetent |
Pneumonie unter schwergradiger Immunsupression | ambulant oder im Krankenhaus erworben | schwere Immunsupression |
Sonderformen der ambulant erworbenen Pneumonie
- Pneumonie des älteren Menschen, auch als nursing home-acquired pneumonia, NHAP bezeichnet
- stellt Sonderform der CAP dar
- nur geringfügig abweichendes Erregerspektrum
- unterscheiden sich aber grundsätzlich durch Alter, Funktionalität, Komorbiditäten, Schweregrad und Prognose
- healthcare-associated pneumonia, HCAP
- Klassifikation dient der Erkennung von Risiko für Pneumonie durch multiresistente Erreger
- Konzept war aber nicht prädiktiv
- wird daher nicht mehr verwendet
Faktoren für eine schwere Immunsupression
- Neutropenie (< 1000/µL Neutrophile)
- iatrogen-medikamentöse Immunsupression, beispielsweise:
- ≥ 20 mg Prednisolon(-Äquivalent) täglich ≥ 14 Tage
- oder kumulative Dosis > 700 mg
- angeborene Immundefekte
- aktive hämatologische Erkrankung mit assoziierter schwerer Immunsupression
- Transplatation solider Organe
- Stammzelltransplantation
- HIV-Infektion bzw. CD4-Zahl < 200/µL
- Antikörpermangelsyndrome
Keine schwere Immunsupression
liegt i.d.R. vor bei:
- (schwerer) Nephro-/Hepathopathie
- Diabetes mellitus
- strukturelle Lungenerkrankung ohne systemische Steroidtherapie
- Tumorerkrankungen ohne Neutropenie
Gruppierung und Therapieziel
Je nach Funktionalität des Patienten, Komorbidität und Prognose erfolgt die Einteilung der ambulant erworbenen Pneumonie in drei Gruppen. Es gilt zu beachten, dass es sich bei der Festlegung des Therapieziels in nicht seltenen Fällen um einen Prozess handelt.
Gruppierung der CAP | |
---|---|
Gruppe | Therapieziel |
Gruppe 1a | kuratives Therapieziel |
Gruppe 1b | kuratives Therapieziel |
Gruppe 2 | palliatives Therapieziel |
Gruppe 1a
- gutes bis ausreichende Funktionalität (< 50% Bettlägrigkeit)
- Entscheidung über Therapie ergibt sich aus Schweregradeinteilung
Gruppe 1b
- NHAP und/oder schlechte Funktionalität (> 50% Bettlägrigkeit)
- Schweregradeinteilung nach CRB-65 Score
- in dieser Gruppe ist der CRB-65-Score aufgrund erhöhter Letalität nicht mehr prädiktiv für niedriges Risiko
- Entscheidung über Therapie ergibt sich aus Schweregradeinteilung
- unter Berücksichtigung individueller Patientenentscheidungen ist aber auch eine Therapielimitation möglich, beispielsweise:
- Verzicht auf Krankenhausbehandlung (personelle und strukturelle Voraussetzungen)
- Verzicht auf intensivmedizinische Behandlung
- Verzicht auf Organersatztherapie
- Reevaluation des Therapieziels bei Therapieversagen bzw. Komplikationen
- hospitalisierte Patienten zusätzliche Evaluation auf MRE
Risikostratefizierung
Zur Risikostratefizierung werden zum einen der CRB-65-Score und die modifizierten Kriterien der ATS/IDSA herangezogen. Ziel ist es rasch die Patienten zu identifizieren, die eine intensivierte Therapie benötigen.
CRB-65-Score
Der CRB-65-Score dient der Abschätzung des Letalitätsrisikos.
CRB-65-Score | |
---|---|
Bezeichnung | Punkte |
C = confusion, Bewußtseinsstörung | 1 |
R = respiratory rate, Atemfrequenz ≥ 30/min | 1 |
B = Blutdruck syst. < 90 mmHg oder diast. < 60 mmHg | 1 |
Alter ≥ 65 Jahre | 1 |
Je nach erreichter Punktzahl ergibt sich folgendes Letalitätsrisiko.
Letalität CRB-65-Score | ||
---|---|---|
CRB-65 Score | ambulante Patienten[4] | hospitalisierte Patienten[5] |
0 Punkte | 0 % | 2 % |
1 bis 2 Punkte | 6 % | 13 % |
3 bis 4 Punkte | 23 % | 34 % |
Schweregrad
Um den Schweregrad einer ambulanten Pneumonie bestimmen zu können, muss neben dem CRB-65 Score die Oxygenierung und eventuell vorhandene Komorbiditäten heran gezogen werden.
schwere Komorbiditäten:
- kardiale, wie beispielsweise Herzinsuffizienz, insbesondere instabile
- chronische Niereninsuffizienz
- Leberzirrhose und weitere chronische Lebererkrankungen
- Diabetes mellitus
- Appoplex und andere neurologische Erkrankungen mit cerebralen Veränderungen
- Neoplasien, mit Ausnahme von Plattenepithel- oder Basalzellkarzinomen der Haut
In Kombination dieser Befunde lässt sich gemäß der aktuellen S3-Leitlinie der Schweregrad ermitteln:
CAP Schweregrad | |
---|---|
Grad | Defintion |
leichte Pneumonie | CRB-65 = 0 Punkte, keine schwere Komorbiditäten, Oxygenierung > 90% |
mittelschwere Pneumonie | weder leichte noch schwere Pneumonie |
schwere Pneumonie | Akute respiratorische Insuffizienz und/oder schwere Sepsis und/oder dekompensierte Komorbidität |
Unter der Prämisse die Patienten zu detektieren, die einer intensivierten Therapie und Überwachung unterzogen werden müssen, werden die modifizierten ATC/IDSA Kriterien zur weiteren Differenzierung heran gezogen. Es gibt zwei Major und neun Minor-Kriterien:
Major Kriterien
- Notwendigkeit der Invasiven mechanischen Beatmung
- Septischer Schock mit Notwendigkeit/Gabe von Vasopressoren
Minor-Kriterien
- Schwere akute respiratorische Insuffizienz (PaO2 ≤ 55mmHg bzw. ≤ 7kPa bei Raumluft)
- Atemfrequenz ≥ 30/Minute
- Multilobäre Infiltrate in der Röntge Thoraxaufnahme
- neu aufgetretene Bewusstseinsstörung
- systemische Hypotension mit Notwendigkeit der aggressiven Volumentherapie
- akutes Nierenversagen (Harnstoff ≥ 20mg/dl)
- Leukopenie < 4.000/µl
- Thrombozytopenie < 100.000 /µl
- Körpertemperatur < 36°C
Beurteilung der ATS/IDSA Kriterien
Sind mindesten 2 von 9 Minor-Kriterien oder ein Major-Kriterium erfüllt, ist eine intensivmedizinische Betreuung des Patienten indiziert!
Diagnostik
Basisdiagnostik
- Röntgen Thorax oder Thoraxsonographie
- 2x Paar Blutkulturen
- Sputum/Trachealsekret
- Entzündungsparameter (BB, CRP)
- mind. kapilliäre BGA (Laktat)
- Messung der Oxygenierung
zusätzliche Diagnostik
- Legionellen-AG im Urin
- Mycoplasma-Serologie (nur bei typischer Anamnese: junge Patient:innen, ambulant, selten Ausbrüche, Epidemiologie)
- Pneumokokken-Antigen im Urin (zur Therapiefokussierung) -> hat aktuell in der S3-Leitlinie nur eine moderate Empfehlung
- Influenza A/B-Schnelltest (PCR in Ausbruchssituationen)
- SARS-CoV-2 AG-Schnelltest (PCR in Ausbruchssituationen)
Erreger und Befunde
Der häufigster Erreger einer ambulant erworbenen Pneumonie ist nach wie vor Streptococcus pneumoniae. Befürchtungen der letzten Jahre bezüglich einer Verschiebung hin zu selteneren oder multiresistenten Erregern haben sich (glücklicherweise) nicht bewahrheitet.
häufige Erreger
- S. pneumoniae
- Mycoplasma pneumoniae
- verschiedene Viren
Erreger bei Komorbiditäten
Pneumonie Errger bei Komorbiditäten | |
---|---|
Komorbidität | Erreger |
keine | Streptococcus pneumoniae, „atypische“ Erreger (Chlamydia pneumoniae, Chlamydia psittaci, Mycoplasma pneumoniae, Coxiella burnetii, Legionella pneumophila), Viruspneumonie |
chronische Herzinsuffizienz | Enterobakterien (z.B. Klebsiella pneumoniae, Escherichia coli) |
schwere COPD, Bronchiektasien | Pseudomonas aeruginosa, Haemophilus influenzae, Moraxella catarrhalis, Streptococcus pneumoniae, Legionella species |
IV Drogen Konsum | Staphylococcus aureus |
Immunsuppression | Zusätzlich Pilze, Viren |
Neurologische Erkrankungen, Dysphagie | Mundflora (Aspirationspneumonie), S. aureus, Enterobakterien (z.B. Klebsiella pneumoniae, Escherichia coli), Anaerobier, Streptococcus pneumoniae |
Post-Influenza | Streptococcus pneumoniae, Staphylococcus aureus |
Bettlägerigkeit, PEG-Sonde | S. aureus, Enterobakterien (z.B. Klebsiella pneumoniae, Escherichia coli), Pseudomonas aeroginosa |
Bronchialkarzinom | Streptococcus pneumoniae, Anaerobier (Poststenotische Pneumonie), Gramnegative Erreger (z.B. Pseudomonas aeruginosa, Enterobacter cloacae, Acinetobacter species |
keine Erreger
Es gibt "Erreger" die immer wieder Mal zur Einleitung oder Eskalation einer Therapie führen, obwohl sie keine Rolle als Ursache für eine Pneumonie spielen.
- vergrünende Streptokokken
- Staphylococcus epidermidis und andere koagulase-negative Staphylokokken
- Enterokokken
- Corynebakterien
- Neisserien (außer (sehr selten) N. meningitidis)
- Haemophilus spp. (außer H. influenzae)
- Candida spp.
Interpretation von Sputumuntersuchungen
Die Beurteilung von Sputumbefunden ist oft mit einer gewissen Unsicherheit verbunden. Werden aber bestimmte Qualitätsindikatoren eingehalten, können sie als Erregernachweis herangezogen werden [6][7][8]. Hierbei spielt die Angabe über Anzahl der Zellen im Mibi-Befund eine Rolle. Sollten vorwiegend Granulozyten und nur wenig bis keine Plattenepithelien zu sehen sein, so erfüllt er die Qualitätsindikatoren und kann als Therapiegrundlage dienen. Dennoch gibt es einige Erreger deren Nachweis meist nicht als verantwortlich für die ambulant erworbene Pneumonie in Betracht gezogen werden können, da sie typische Bestandteile der Normalflora sind:
- vergrünende (viridans) Streptokokken
- Neisserien
- Corynebakterien
- Staphylococcus epidermidis
Bei Staphylococcus aureus verhält es sich ähnlich. Allerdings muss der Nachweis immer als kritisch betrachtet werden. Ca. 20% der Menschen sind asymptomatische Staph. aureus Träger im Nasen-Rachen-Raum. Unter Berücksichtigung der oben genannten Qualitätskriterien und bei zusätzlichem vorliegen in Reinkultur, ist er aber als Auslöser der Pneumonie in Betracht zu ziehen. Ähnlich verhält es sich mit Enterobakterien und Pseudomonas aeruginosa.
Therapie
leichte CAP
leichte CAP, ohne Komorbiditäten | ||||
---|---|---|---|---|
Präferenz | Substanz | Dosierung | Dauer | Anpassungen |
1. Wahl | Amoxicillin | 2x 750 bis 1000mg po | 5 - 7 d | - |
bei begründeter Penicillin Allergie | Levofloxacin | 2x 500mg po | 5 - 7 d | Cave: Rote Handbrief |
Alternative | Doxycyclin | 1x 200mg po | 5 - 7 d | Vorsicht bei Einnahme mit Milch |
leichte CAP, mit Komorbiditäten | ||||
---|---|---|---|---|
Präferenz | Substanz | Dosierung | Dauer | Anpassungen |
1. Wahl | Ampoxicillin/Clavulansäure | 2x 875/125mg po | 5 - 7 d | oder Ampicillin/Sulbactam 3x 3g iv |
bei begründeter Penicillin Allergie | Levofloxacin | 2x 500mg po | 5 - 7 d | Cave: Rote Handbrief |
Alternative | Doxycyclin | 1x 200mg po | 5 - 7 d | Vorsicht bei Einnahme mit Milch |
mittelschwere CAP
mittelschwere CAP | ||||
---|---|---|---|---|
Präferenz | Substanz | Dosierung | Dauer | Anpassungen |
1. Wahl | Amoxicillin/Clavulansäure ggf. plus Makrolid für 3 Tage |
3x 875/125mg po | 5 - 7 d | wenn Makrolid, dann
auch Serologie auf Atypica |
Alternative | Ampicillin/Sulbactam ggf. plus Makrolid für 3 Tage |
3x 3g iv | 5 - 7 d | wenn Makrolid, dann
auch Serologie auf Atypica |
bei begründeter Penicillin Allergie | Levofloxacin | 2x 500mg po | 5 - 7 d | Cave: Rote Handbrief |
schwere CAP
mittelschwere CAP | ||||
---|---|---|---|---|
Präferenz | Substanz | Dosierung | Dauer | Anpassungen |
1. Wahl | Piperacillin/Tazobactam plus Makrolid für 3 Tage |
4x 4,5g iv | 5 - 7 d | Loading Dose 4,5g über 30min, im Anschluss prolongierte Gabe über 3h |
Alternative | Ampicillin/Sulbactam plus Makrolid für 3 Tage |
3x 3g iv | 5 - 7 d | Loading Dose 3g über 30min, im Anschluss prolongierte Gabe über 3h |
bei begründeter Penicillin Allergie | Levofloxacin | 2x 500mg iv | 5 - 7 d | Cave: Rote Handbrief |
Quellen
- ↑ Kolditz M, Tesch F, Mocke L, Hoffken G, Ewig S, Schmitt J:Burden and risk factors of ambulatory or hospitalized CAP:a population based cohort study. Respir Med 2016; 121:32-8;DOI: https://doi.org/10.1016/j.med.2016.10.015
- ↑ Qualitätsreport 2019. Published online 2019:246
- ↑ Almirall J, Bolíbar I, Toran P, et al. Contribution of C-reactive protein to the diagnosis and assessment of severity of community-acquired pneumonia. Chest. 2004;125(4):1335-1342. doi:10.1378/chest.125.4.1335
- ↑ Fine MJ, Auble TE, Yealy DM, et al. A prediction rule to identify low-risk patients with community-acquired pneumonia. N Engl J Med. 1997;336(4):243-250. doi:10.1056/NEJM199701233360402
- ↑ Bauer TT, Ewig S, Marre R, Suttorp N, Welte T, CAPNETZ Study Group. CRB-65 predicts death from community-acquired pneumonia. J Intern Med. 2006;260(1):93-101. doi:10.1111/j.1365-2796.2006.01657.
- ↑ Rosón B, Carratalà J, Verdaguer R et al. Prospective study of the usefulness of sputum Gram stain in the initial approach to community-acquired pneumonia requiring hospitalization. Clin Infect Dis 2000;31: 869-874
- ↑ Anevlavis S, Petroglou N, Tzavaras A et al. A prospective study of the diagnostic utility of sputum Gram stain in pneumonia. J Infect 2009; 59: 83-89
- ↑ ukuyama H, Yamashiro S, Kinjo K et al. Validation of sputum Gram stain for treatment of community-acquired pneumonia and healthcare-associated pneumonia: a prospective observational study. BMC Infect Dis 2014; 18: 534